Reportagen / DIE PART-TIME LOVERS

von: MICHAEL FUCHS-GAMBÖCK

VORSPANN:

„Vergiss es, Mr. Right zu suchen, konzentriere dich lieber auf Mr. Right Now.” Das kesse Beziehungsmodell, welches die amerikanische Schauspielerin Cameron Diaz ihrer Kollegin Selma Blair in der Komödie “Supersüß und supersexy” vorschlägt, hat Hochkonjunktur – und längst nicht mehr nur im Film. Wirklich neu ist diese Konstellation nicht, denkt man beispielsweise an das Mätressentum, das schon seit dem Mittelalter eine gewichtige Rolle im gesellschaftlichen Leben spielt. Neu daran ist allerdings, dass sich zunehmend Frauen einfach nehmen, was sie wollen – Sex ohne Liebe bzw. Liebe auf Zeit.

TEXT:

„Was die Libido angeht, bin ich wie ein Mann“, bekennt Kerstin aus München. Die 27-jährige büffelt gerade auf ihr Steuerberater-Examen. Für eine feste Beziehung hat sie momentan weder Zeit noch Nerv. Trotzdem will sie nicht auf das Ausleben ihrer Lust verzichten. Kerstin ist der Prototyp einer neuen Frauen-Generation, die eine Freiheit auslebt, wie man sie bisher nur von Männern kannte, die dem klassischen Bild eines Herzensbrechers und Machos entsprechen. Selbstbewusst nimmt Kerstin sich was sie will: Sex ohne Konsequenzen. Ihr Bett mit jemandem zu teilen, kommt ihr höchstens für einige Stunden in den Sinn. Statt innerer Werte, Vertrauen und Liebe zählen für sie momentan lediglich die kurzen, oberflächlichen Freuden, die sie mit einem möglichst gut gebauten Lover erlebt.

Die Freiheit, die Kerstin gerade in vollen Zügen genießt, erscheint ihr wie ein emotionaler Gefängnisausbruch: „Ich bin ab meinem 17. Lebensjahr pausenlos von einer Beziehung in die nächste gesprungen. Das tat mir nicht gut, denn so kann man sich nie selbst finden.“ Die junge Frau bezeichnet sich selbst mit einem süffisanten Lächeln als „Jägerin“. Männliches Freiwild erlegt sie beispielsweise auf Afterwork-Parties, Inlineskate-Events und in der Steuerkanzlei, in der sie arbeitet. „Es ist ein Spielchen.“, berichtet sie: „Wenn ich in der Disco einen attraktiven Kerl sehe, wette ich mit meinen Freundinnen lachend, ob ich ihn rumkriege oder nicht.“

Nicht all ihre Bekannten zeigen Verständnis für Kerstins wildes Sexualleben. Von ihrer besten Freundin musste sie sich vor kurzem gar die Frage gefallen lassen: „Warum verlangst du eigentlich kein Geld dafür?“ Auch so manche männliche Eroberung Kerstins fühlt sich im ersten Augenblick verunsichert von ihrem offensiven Verhalten. Schnell hat sie gelernt, wie kleinlaut Machos werden, wenn eine Frau in deren ureigenem Revier wildert und sie zum Rollentausch – und damit in die Knie – zwingt. Und obwohl Kerstin stets mit offenen Karten spielt, lassen sich Kollateralschäden auf dem Schlachtfeld der Gefühle nicht immer vermeiden. Ihrem alten Kumpel aus Kindheitstagen, der nach einer Liebesnacht am nächsten Tag mit einem Strauß roter Rosen vor ihrer Tür stand, erklärte sie nur knapp: „Tut mir leid, ich kann und will mich nicht ändern – es wird immer wieder neue Typen in meinem Leben geben.“

Im Gegensatz zu dem Schulfreund mit dem gebrochenen Herz verwandelt sich bei den meisten seiner Geschlechtsgenossen die anfängliche Irritation über diesen weiblichen Macho namens Kerstin in angenehme Überraschung. Sie wissen rasch schon die Vorzüge dieses unkomplizierten Beziehungsmodells zu schätzen. Lange Zeit, dies zu genießen, bleibt den meisten allerdings nicht, denn Kerstin sucht immer wieder den verführerischen Reiz des Neuen.

Ganz anders Sonja. Auch sie lebt zwar mit Hingabe das Modell der Part-Time-Lovers des 21. Jahrhunderts, doch braucht sie im Gegensatz zu Kerstin die Exklusivität der Beziehung zu einem anderen Menschen: „Der Mensch, mit dem ich Intimitäten austausche, muss mir vertraut sein, damit ich mich ganz fallen lassen kann.“ Denn – auf die Frage, ob sie lesbisch sei, antwortet die 29-jährige Redaktionsassistentin aus Regensburg augenzwinkernd: „Meistens“.

Sonja hält nichts von Klassifizierungen wie „hetero“ und „homo“ und ebenso wenig vom Klischee, dass nur Frauen wüssten, was Frauen wollen: „Viele Lesben glauben, dass Männer im Bett nicht zärtlich und fantasievoll sein können. Gott sei dank weiß ich es besser.“ Sich in einen Mann zu verlieben, könnte Sonja sich nicht vorstellen. Dennoch hat sie regelmäßig Sex mit dem 30-jährigen Andi, der als Barkeeper in einer Disco ihrer Heimatstadt arbeitet. Sie genießt das, wie sie es nennt, „Merkwürdige“ eines männlichen Körpers: „Es gefällt mir, morgens an einer Männerschulter aufzuwachen, mich anzulehnen und über eine Brust zu streichen, die sich anders anfühlt als die einer Frau. Das Geilste aber ist, einem Mann einen zu blasen. Dabei habe ich ihn so schön unter Kontrolle.“

Selbst wenn es für Liebe auf den ersten Blick nicht ganz gereicht hatte, hinterließ Andi von Beginn an einen bleibenden Eindruck auf die lebenslustige Frau: „Ich habe ihm in die Augen geschaut und dachte mir: „Ich muss diesen Mann noch heute küssen.“ So was ist mir noch nie zuvor passiert.“

Auch in der ersten gemeinsamen Nacht war Sonja überrascht: „Ich war gewohnt, dass Männer gleich zur Sache kommen“, erinnert sie sich. „Andi war jedoch ganz anders. Wir haben geredet, geknutscht und Zärtlichkeiten ausgetauscht, aber nicht beim ersten Date miteinander geschlafen. In dem Punkt ist er wie eine Frau, obwohl er rein optisch sehr hart und männlich wirkt. Das ist es, was mich am meisten an ihm fasziniert.“

Trotz aller gegenseitiger Faszination: Die Interimsliebenden haben ihrer Bindung eine Galgenfrist gesetzt. Sonjas Partnerin befindet sich aus beruflichen Gründen für ein halbes Jahr in Indonesien. Wenn sie zurückkommt, will Sonja die Affäre mit Andi beenden. Dann soll aus der körperlichen eine platonische Freundschaft werden – soweit zumindest die Theorie. Der 30-jährige ist damit einverstanden. Für Sonja eine Conditio sine qua non: „Hätte ich das Gefühl, er will mich bekehren, wäre ich sofort weg.“

Ob Astrid, Sonja oder Andi – moderne Menschen wie sie leben ein Beziehungsmodell, das sich durch seine Bindungslosigkeit ausweist. Der renommierte US-Soziologe Christopher Lasch schreibt in seinem Standardwerk „Das Zeitalter des Narzissmus“ folgendes über jene Generation: „Persönliche Beziehungen sind aus mancherlei Gründen riskanter geworden – vor allem deshalb, weil sie keine dauerhafte Sicherheit mehr bieten. Männer und Frauen stellen extravagante Ansprüche aneinander und erfahren irrationale Zorn- und Hassgefühle, wenn diese Ansprüche nicht erfüllt werden. So nimmt es nicht wunder, dass sich in unserer Gesellschaft mehr und mehr Einpersonenhaushalte etablieren. Sie beweisen zweifellos eine neue Vorliebe für persönliche Unabhängigkeit, zugleich dokumentieren sie die Abwehr enger emotionaler Bindungen aller Art.“

Auch Thomas und Astrid haben für ihr Verhältnis klare Spielregeln festgelegt: Zusammen Spaß haben, so lange es gut läuft. Aber wenn einem der beiden Mr oder Mrs Right begegnet, muss der andere ohne Zögern das Feld räumen. Die 32-jährige Managing Directorin bei einer Filmfirma aus Köln bestätigt, dass sie „großartigen Sex“ mit dem vier Jahre jüngeren Thomas hat. Die beiden können sich auch angeregt unterhalten, doch für die große Liebe reicht es nicht. Astrid genießt ihre Freiheit und ist sexuell experimentierfreudig. So besuchte sie mit Thomas bereits einen Swingerclub, da sie dieser Gedanke schon lange angetörnt hat, sie aber alleine nach eigenen Angaben „zu feige gewesen wäre, um mich dort blicken zu lassen.“ Sie ist sich darüber hinaus bewusst: „So eine Aktion wäre in einer festen Beziehung undenkbar. Das funktioniert nur, weil wir beide nicht eifersüchtig aufeinander sind.“

Für Sex zu bezahlen können sich beide nicht vorstellen, ohne regelmäßigen Sex zu leben allerdings genauso wenig. Dennoch ist die finanziell gut gestellte Astrid gerne bereit, dem freiberuflichen Fotografen, um dessen Auftragslage es seit einiger Zeit nicht sonderlich gut bestellt ist, freundschaftlich unter die Arme zu greifen. So begleicht sie meist das gemeinsame Essen, die Taxifahrt von seiner Wohnung zu ihrer und wieder nach hause zurück, und schenkt ihm in unregelmäßigen Abständen kleine Aufmerksamkeiten. „Außerdem genieße ich das Gefühl der Macht, wenn ich einen Mann, der mir gefällt und der von mir abhängig ist, aushalte“, bekennt sie. „Um ehrlich zu sein, das bringt mich ganz schön auf Touren. Und Thomas hat mir gestanden, dass ihn diese Situation ebenfalls heiß macht.“

Auf der Suche nach der erträglichen Leichtigkeit des Zusammenseins konventionelle Beziehungsmuster zu hinterfragen, liegt scheinbar im Trend. Gemeinsam ist allen Ansätzen die Sehnsucht nach Unkompliziertheit, ohne auf Intensität zu verzichten. „In der gegenwärtigen Situation“, beschreibt der Trierer Soziologe Dr. Michael Schmidt-Salomon in dem politisch-wissenschaftlichen Magazin „Aufklärung und Kritik“ die aktuelle Lage ganz richtig, „scheint das althergebrachte Modell der lebenslangen Monogamie, das Modell der „Heiligen Familie“, zu einem Auslaufmodell zu werden.“

Und er fährt fort: „An die Stelle des ideologisch und ökonomisch verriegelten Ehekäfigs sind neue Beziehungsmodelle getreten, die ihrerseits in der Geschichte immer wieder erprobt wurden und den Liebeswütigen der Jetztzeit zur Verfügung stehen: Das Modell der seriellen Monogamie, das Modell der Haremsbildung, das Modell der polygamen Austauschbeziehung, das Modell der offenen Ehe sowie das Modell des Intimnetzwerks.“ Punktum: Erlaubt ist was gefällt bzw. was rasche Triebbefriedigung bringt.

Denn, so Schmidt-Salomon in seiner Schlussbetrachtung: „Es spricht vieles dafür, dass die Dialektik von „Wunsch nach Bindung“ und „Wunsch nach Freiheit“ als treibendes Moment innerhalb der Beziehungsdramen unserer Zeit betrachtet werden muss. Heutige Beziehungsmodelle (egal ob es sich hierbei um hetero- oder homosexuelle Partnerschaften handelt) müssen sich daran messen lassen, wie gut sie in der Lage sind, beide Dimensionen miteinander zu verbinden.“ Doch nicht immer erweisen sich die modernen Alternativen zur klassischen, so genannten „romantischen“ Liebesbeziehung als tragfähige Modelle. Diese Erfahrung musste Christian machen. Der 28-jährige Globetrotter und Langzeitstudent der Anglistik verdankt seinen spanischen Großeltern den Latin Lover-Touch, der bei vielen Frauen gut ankommt. Doch hinter der Macho-Fassade schlägt ein großes Herz. Und das wurde gebrochen von seiner großen Liebe. Kurz nach dem jähen Ende jener Beziehung lernte der Berliner die 26-jährige Paulina kennen – eine Frau, die alles hatte, was man sich wünschen kann: Intellekt, Bildung, erotische Ausstrahlung. Doch Christian spürte, dass er noch nicht bereit war für eine neue feste Bindung. Daraus entstand eine Sex-Beziehung, die nur vordergründig entspannt wirkte: „Ich habe zu spät begriffen, dass Paulina insgeheim hoffte, mich durch ihr Sex-Appeal für sich zu gewinnen.“ Die Folgen: Bittere Enttäuschung und Eifersucht auf Paulinas, ein nagendes schlechtes Gewissen auf Christians Seite. Die Situation eskalierte, als Paulina nach einem Streit am Telefon auf dem Weg zu Christian einen Autounfall hatte.

Erst der Unfall öffnete ihm die Augen, dass es wie bisher nicht weitergehen konnte. Im Nachhinein sieht Christian die einige Monate währende Liaison selbstkritisch: „Wenn ich nicht so egomanisch gewesen wäre, hätte ich früher bemerken müssen, wie sehr ich Paulina die ganze Zeit verletze.“ Diese kam mit Narben am Arm und an der Seele davon. Sie lebt jetzt in einer glücklichen Beziehung. Christian hat beschlossen, dass es vorerst das Beste für ihn und die Frauen ist, Single zu bleiben. „Eigentlich“, gesteht er etwas resigniert, „sehne ich mich nach der großen, romantischen Liebe. Andererseits bin ich dazu nicht in der Lage. Ich bin wohl ein Kind unserer Zeit.“

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