Interview / TOM WAITS

VORSPANN: Ganz ehrlich: Ich hatte ein furchtbar flaues Gefühl im Magen, als ich diesen Interviewtermin im Hochsommer 1992 wahrnahm. Tom Waits zu treffen, diesem als wortkarg verschrieenen Eigenbrötler irgendwelche spannenden Äußerungen zu entlocken, das kam mir wie ein intellektueller Kamikazeflug vor. Waits ist der Kerl mit den vielen Gesichtern. Der Kerl, den man einfach nicht einschätzen kann. Früher einmal kam mir der Mann, der am 7. Dezember 1949 in Pomona, Kalifornien das Licht der Welt erblickt hat, vor wie Don Quijote: ein Mann, der mit maximalem Aufwand minimale bis gar keine Erfolge erzielte. Seit Beginn seiner Karriere lieferte der Mann, dessen Stimme wie das heisere Bellen eines röudigen Straßenköters klingt, der sich zum Frühstück Glasscherben als Hauptgericht vornimmt, großartige Alben von zeitloser Schönheit und Einzigartigkeit ab, aber mit dem kommerziellen Verlauf seiner Karriere ging es so gut wie gar nicht voran. Dann kam "Rain Dogs" auf den Markt, 1985, gleichzeitig spielte der Schauspieler Tom Waits in Jim Jarmushs Kult-Film "Down By Law" eine Hauptrolle und steuerte gleich noch einige Songs für den Streifen bei. Mit einem Schlag begannen sich eine Menge Leute für den Rinnstein-Poeten zu begeistern, schauten sich den Film an, kauften "Rain Dogs", erstanden auch die flugs wiederaufgelegten alten Werke des Meisters - und machten Tom Waits zu einem Star. An diesem Status hatte sich bis zu unserem Treffen nichts geändert, an Waits´ Stellenwert freilich schon. War er früher für eine Handvoll selbsternannter avantgardistischer Intellektueller der große Held, so wurde er von eben dieser Klientel just von dem Zeitpunkt an bespuckt, als die dicke Kohle die durchlöcherten Taschen seines abgetragenen Jacketts füllte. Kam hinzu, daß sich Waits seit den frühen 80ern mit dem Trinken etwas zurückhielt, daß er sich das Rauchen abgewöhnt hatte und daß er seit 1980 glücklich verheiratet ist und stolzer Vater von Kindern ist.

Jedenfalls entsprach Tom Waits nach außen hin längst nicht mehr wie noch in den 70er Jahren dem Prototyp des ständig besoffenen Rabauken, der in verräucherten Clubs am Piano sitzt und solange spielt, bis er mit dem Schädel auf die Tastatur schlägt. Gleichzeitig aber spiegelten die Songs seines ´92er-Albums "Bone Machine", das den Anlaß für unser Interview stellte, genau dieses Klischee wider. Tom Waits´ knurrender Baß klang ruppiger denn je, seine Texte waren noch präziser als früher geworden, flirteten noch heftiger mit der dunklen Seite des American Way Of Life. "Ausverkauf", warf man ihm vor, "Verlogenheit" und die Inanspruchnahme des Underdog-Status, den er löngst verwirkt zu haben schien. †ber diese Vorwürfe konnte Waits nur müde grinsen, doch sie schienen ihn dennoch zu beschäftigen.

Wie auch immer, Waits wollte reden an diesem heißen Spätsommertag. Saß da in einem Pariser Straßencafe, hielt mir lässig die Hand hin, brummelte eine Begrüßung. Der Mann war kleiner, als Fotos von ihm uns immer weismachen wollen, schmächtiger und - besser gekleidet und gelaunt. Tatsächlich lachte Tom Waits viel in seinem rabenschwarzen Anzug, den unvermeidlichen Hut auf der noch immer dichten Haartolle, in die sich graue Strähnen eingeschlichen hatten, während die listigen Augen vor Lebensfreude nur so blitzten. Maulfaul war er auch nicht: ein Bonmot jagte das nächste, Obszönitäten, Merkwürdigkeiten und spannende Stories aus den Eingeweiden der Nacht sprudelten nur so über seine Lippen. Der Mann war mit sich und seiner Welt offensichtlich im reinen. Und ich - nun, ich war nervös.

FRAGE: Für mich ist "Bone Machine" das existentiellste Album, das Sie je eingespielt haben - und die Platte, auf der Sie versuchen, den Tod zu konkretisieren, um Ihre Angst davor zu verlieren. Sehen Sie das auch so?

WAITS: Ihre Einschätzung trifft ganz gut. Es dreht sich tatsächlch alles um Knochen, Friedhöfe und schmutziges Blut. Und vielleicht darum, wo ich morgen noch einen guten Drink herkriege, obwohl die Erde schon in so einem desolaten Zustand ist.

FRAGE: Steht der Begriff "Bone Machine" für Ihre Einschätzung der menschlichen Kreatur? Ist der Mensch in Ihren Augen nur eine läppische, hirnlose Knochenmaschine?

WAITS: Nein, "Bone Machine" ist für mich so was wie ein Superheld in der Art von Hulk oder Batman. Leider Gottes gewinnt mein Held nie... (grinst) Aber natürlich steckt noch ein anderer Gedanke hinter "Bone Machine": der, daß wir nichts weiter als Dreck am Boden sind - "Dirt on the ground", so heißt ja auch ein zentraler Song auf der neuen Platte.

FRAGE: Das ist aber traurig, oder nicht?

WAITS: Aber es ist nun mal die Wahrheit.

FRAGE: Sie halten also keine Vision für Ihre Fans und Hörer bereit - schon gar keine fon einem fantastischen Leben nach dem Tod?

WAITS: Ich bin doch kein Lügner, oder sehe ich so aus? Nein, nein, die einzige Vision, die ich mit dem Tod assoziiere, ist das Bild von Würmern, die durch meine Augenhöhlen kriechen, um sich mein Gehirn vorzunehmen und es langsam aufzufressen. Ich hoffe nur, daß ich diesen Vorgang nicht bewußt mitbekommen nuß.

FRAGE: Meine Vorstellung über die Verbindung von Leben und Tod war immer, daß man selbst beeinflussen kann, wie der Tod aussieht. Man muß nur irgendeine Vorstellung davon haben, daran festhalten - und schon tritt sie ein.

WAITS: Ein interessanter Aspekt. Vielleicht kann man ja den Tod auch beeinflussen, indem man nach bestem Wissen und Gewissen lebt. Mir lag immer am meisten daran, nach meinen eigenen Regeln zu leben, kein Schwein zu sein. Das ist jetzt allerdings keine Todesvision, sondern das genaue Gegenteil davon: nömlich die Vorstellung, wie man sich sein Leben einrichtet. Wobei ich mir von keinem Arschloch der Welt sagen lassen würde, wie diese Regeln auszusehen haben. Nur ich selbst weiß schließlich, was gut und was böse ist. Dazu brauche ich auch keine Gesetzbücher oder gar Heilige Schriften.

FRAGE: Kommen wir zum zentralen Thema Ihrer Arbeit: Amerika. Sie setzen sich vor allem mit der dunklen Seite Ihrer Heimat auseinander, den trostlosen Aspekten des American Way Of Life. Was bedeutet Amerika für Sie?

WAITS: Ich denke, Amerika ist in erster Linie ein Ort voller Träume. Das liegt daran, daß hier vor ein paar hundert Jahren viele Menschen voller Wünsche und Hoffnungen aus allen Teilen der Welt zusammenkamen, um diese Nation zu gründen. Sie machten daraus in ihren Köpfen einen fremden, besseren Planeten fern der Erde, an dessen Aufbau sie sich beteiligen wollten.
Eine gefährliche Illusion! Natürlich mußte dieses Vorhaben scheitern, weil Menschen daran beteiligt waren. Und je gradioser die Vorstellung von etwas ist, um so grausamer ist der anschließende Fall, wenn diese Vorstellung wie eine Seifenblase zerplatzt.
Amerika ist für mich wie eine dieser elektrischen Spielzeugpuppen, die lachen, Pfötchen geben und "Guten Tag" sagen können. Eine seelenlose Maschine mit makellosem Auftreten, hinter der sich bei genauerer Betrachtung der Kerl mit den Hörnern, dem bösen Lachen und dem stinkenden Atem verbirgt. Ich beschäftige mich wahrscheinlich immer deshalb mit der dunklen Seite Amerikas, weil ich den Teufel bloßstellen will. So habe ich eine Chance, daß er aus meinem Leben verschwindet.

FRAGE: Aber warum begeistern Sie sich bei dieser Teufelsaustreibung immer vür die Verlierer und Außenseiter? Sind Sie denn selbst einer?

WAITS: Nein. Genausowenig übrigens wie die Figuren in meinen Texten. De sind zwar oft vom System und von der Gesellschaft getreten und übergangen worden, aber sie haben meistens trotzdem einen ziemlichen Spaß am Leben.

FRAGE: Solche Figuren erinnern mich ziemlich stark an die Protagonisten in Jack Kerouacs Romanen. Kerouac hat stets die Straße verherrlicht, hat sie als "Schlüssel zum Himmel" bezeichnet, weil man auf ihr die Freiheit hat, die Richtung zu wählen, weil sie einen überall hinführt und weil sie permanente Bewegung symbolisiert. Ist die Straße für Sie ebenfalls eine Form der Religion, wo Sie so viel in Ihrem Leben herumgekommen sind?

WAITS: Die Straße übt sicher eine gewaltige Faszination auf mich aus. Als Musiker bist du ja zwangsläufig mit ihr verbunden, das bringt der Beruf so mit sich. Wenn du als Musiker etwas werden willst, mußt du deine Lieder von Stadt zu Stadt tragen und den Menschen überall vorstellen.
So gehen Songs und Straße irgendwann eine Art Symbiose ein, ergänzen sich, verschmelzen miteinander. Genauso wie der Sänger irgendwann ein Teil der Straße wird. Erst sie macht seine Lieder lebendig. Nur wenn er sie Abend für Abend, vollgepumpt mit neuen Eindrücken, in immer neuen Varianten vortrögt, behalten sie ihre Vitalität.

FRAGE: Trotzdem gibt es mittlerweile eine stattliche Anzahl von Menschen, die Ihnen die Underdog-Attitüde nicht mehr abnehmen, die Sie für ein etabliertes Arschloch mit Frau und Kindern und dicken Geldbündeln in der Tasche halten...

WAITS (geht in Boxstellung): Wer hölt mich für ein Arschloch? Die Typen sollen herkommen und sich einem Duell mit mir stellen, wenn sie sich trauen.

FRAGE: Beim nächsten Interview bringe ich Ihnen eine Handvoll mti. Jedenfalls sind es Typen, die Ihren soliden Lebenswandel der letzten Jahre unmöglich mit einem Außenseiter der Gesellschaft in Verbindung bringen können.

WAITS: Das ist deren Problem. Ich bin zur Überzeugung gelangt, daß das Leben innerhalb einer intakten Familie erst beginnt und nicht an diesem Punkt aufhört. Das Gefühl, wenn du ein Baby in den Armen hältst, wenn du plötzlich spürst, wie stark das Leben tatsächlich ist.
Leute, die mir solche Vorwürfe machen, haben keine eigenen Kinder. Wahrscheinlich sind sie alle schwul! Egal! Meine Familie ist jedenfalls Hauptquell meiner Inspiration. Und sie läßt mich all das tun, was ich tun will und tun muß. Ich kann nur sagen, daß ich ein verdammt glücklicher Bastard bin.

FRAGE: Vielleicht liegt es an diesen glücklichen Umständen, daß Ihre Songs zwar oft melancholisch sind, daß der Humor in seinen verschiedensten Facetten immer die Oberhand behält. Stimmt´s?

WAITS: Ganz klar! Humor ist sowieso die einzige Waffe, die wir haben, um dieser merkwürdigen Existenz ein Schnippchen zu schlagen. Eigentlich auch logisch, warum der Humor letztlich bei mir immer gewinnt: Wenn du soviel Scheiße wie ich erlebt hast, spenden dir Happy-Ends eine gehörige Portion Trost. Und noch ein Grund: Jemand, der in seinem Leben keinen Humor entwickelt, wird niemals den Himmel sehen. Und ich denke, der ist - sofern er existiert - der spaßigste Platz, den es gibt.

FRAGE: Ich dachte, Sie glauben nicht an ein Leben nach dem Tod?

WAITS: Glauben Sie mir nie irgend etwas. Meine einzige Aufgabe auf diesem Planeten ist es, spannende Geschichten zu erzählen. Aber um Himmels willen nicht die Wahrheit!

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