Interview / ROLLING STONES

VORSPANN: Am Anfang war das Warten. Wer sich ein neues Album von den Rolling Stones anhören oder - noch schlimmer - gar ein Interview mit Stones-Sänger Mick Jagger und seinem Spießgesellen, Gitarrero Keith Richards, führen will, der muß eine Menge Geduld mitbringen. Und sich stets mit der vagen Hoffnung begnügen, daß irgendwann doch alles gut werden wird.

Wir schreiben das Jahr ´97 - das Jahr, in dem die Stones ihr seit langem bestes Studioalbum, "Bridges To Babylon" betitelt, vorlegen und damit wie gehabt ganz oben in den Charts landen werden. Angekündigt war diese Scheibe von Jagger & Co. für den Sommer jenes Jahres. Bereits ab Mai gab es wöchentlich neue Gerüchte über die Arbeit des Londoner Quartetts, damals bestehend aus Jagger, Richards, Ron Wood und Charlie Watts. Am Ende jedoch hatte sich die "letzte echte Rock & Roll-Legende, die noch lebt" (ROLLING STONE) für satte sechs Monate hinter den Studiomauern von Produzent Don Was in Los Angeles verbarrikadiert, ehe Mitte August einige wenige Vorab-Cassetten des neuen Albums wie streng vertrauliche Botschaften eines obskuren Geheimdienstes kursierten. Das weltweite Veröffentlichungsdatum wurde zu guter letzt auf den 29.9.1997 festgelegt.

In der letzten Augustwoche ging dann alles Schlag auf Schlag: Zunächst durfte man sich im Münchner Büro der Rolling Stones-Plattenfirma VIRGIN das neue Opus zu Gemüte führen. Eine Woche später saß der Autor dieser Zeilen im Flieger nach Toronto/Kanada, um dort die Audienz mit den Herren Jagger und Richards wahrzunehmen. Grund für die weite Reise: Die Rolling Stones hatten sich ab Mitte August für vier Wochen im Herzen Torontos in einem ehemaligen Freimaurer-Tempel eingebucht, der in den 70er Jahren zu einer mittelgroßen Konzerthalle umgebaut worden ist, um dort für die anstehende Welttournee zu proben - die erfolgreichste und längst übrigens, die die fünf Briten je absolviert hatten.

Zunächst nimmt Mick Jagger, drei Stunden später Keith Richards neben mir platz auf dem wuchtigen Sofa des intimen, kaum beleuchteten Interviewzimmers, im Stockwerk direkt über dem damaligen Proberaum der Stones gelegen - alle zwei versinken beinahe in diesem Sofa. Denn die Herren, beide Jahrgang 1943, sind dürr und kleiner als gedacht. Und besitzen beide ein sardonisches Grinsen. Wer mit Mick Jagger und Keith Richards ein Interview führt, sollte - aus unterschiedlichsten Gründen - stets auf der Hut sein...

KEITH RICHARDS

"Du kannst", beginnt ein blendend aufgelegter Keith Richards unser Gespräch, in der Linken die obligatorische qualmende "Marlboro", in der Rechten das obligatorische gewaltige Glas Wodka-Orange (nein, kein Bourbon mehr!), "Typen wie uns nicht von Grund auf ändern, das kann niemand mehr, dafür sind wir zu alt und zu stur. Naja, wir sind eben die Rolling Stones, oder nicht", grinst er fragend.

FRAGE: Laut einem Interview der Zeitschrift ROLLING STONE sei Ihnen "Bridges To Babylon" "zu experimentell" - wie darf ich das verstehen?

RICHARDS: Völliger Quatsch! Was ich gemeint habe: Ich bin verdammt stolz auf Mick (Jagger; d. Red.), daß er Typen wie die Dust Brothers oder Danny Saber angeschleppt hat, damit sie unseren Sound auf den aktuellsten Stand bringen. Ich bin ja eher ein Nostalgiker, der nach wie vor auf Blues und Rock & Roll abföhrt. Da tut es gut, wenn du Leute hast, die dir erklären, wo es in der modernen Welt lang geht.
Jedenfalls ist "Bridges To Babylon" das erste Stones-Album seit langem, auf das ich durchgehend stolz bin. Ich meine - nichts gegen "Voodoo Lounge", "Steel Wheels" oder "Stripped", aber darauf haben wir sicher nicht unser gesamtes Potential ausgespielt. Auf diesen Platten sind für mein Empfinden zu viele Hänger.
Das hat sicher damit zu tun, daß nach "Dirty Work" von 1984 bei uns völlig die Luft raus war. Die Stones waren ja eine Zeitlang aufgelöst, worunter ich im übrigen wie ein Hund gelitten habe. Naja, und danach hatten wir einige Mühe, wieder zu alter Form aufzulaufen. Die Maschine war nicht richtig in Gang. Doch "Bridges To Babylon" ist ein wirklich großer Wurf geworden, ganz in der Tradition unserer Klassiker wie "Exile On Main Street", "Sticky Fingers" oder "Let It Bleed". Was daran liegt, daß wir mit dieser Platte für die Leute wieder ein paar Überraschungen parat halten. Wir haben wieder ein bißchen experimentiert, haben unseren Horizont erweitert und neu abgesteckt. Sprich: Wir sind wieder im Rennen!

FRAGE: Seid ihr auch menschlich "wieder im Rennen" - eine Zeitlang gab´s ja nicht unbedeutende Probleme sowie Auseinandersetzungen speziell zwischen Jagger und Ihnen?

RICHARDS: Ja! Das erkenne ich schon daran, daß Mick derzeit keine Solo-Ambitionen hegt. Er würde uns nicht in den Rücken fallen, wie er das 1985 getan hat, als er die Band auseinanderbrach. Damals war ich total angepisst. Heute hingegen verstehe ich, daß es notwendig für Mick war, Abstand von der Band zu kriegen, weil wir uns kreativ im Kreis drehten. Inzwischen aber bringt sich Mick wieder stärker als je zuvor in die Stones ein.
Wenn er uns jetzt allerdings nochmals in den Rücken fiele, würde ich es ihm nicht mehr verzeihen. Es gibt nämlich partout keinen Grund für so ein Verhalten, Mr. Jagger kann sich im Rahmen dieser Gruppe voll und ganz austoben. (lacht) "Fall der Band nicht in den Rücken", das ist unser 11. Gebot. Wir sind sehr religiös, was die Rolling Stones angeht...

FRAGE: Jagger hat im Interview mit der englischen Musikgazette NME behauptet, daß "die Jungs ziemlich aufgeräumt waren, solange ich mit ihnen an der neuen Platte gearbeitet habe. Doch sobald ich das Studio verließ, sind sie auseinandergefallen. Jedenfalls: Ich trinke kaum und nehme keine Drogen, wenn ich arbeite, soviel dazu" - ist es also wahr: Mick ist der straighte Organisator und ihr der chaotische Haufen?

RICHARDS (grinst sardonisch): Glaub, was du willst! Es stimmt schon: Mick raucht und trinkt nicht, außer er macht´s heimlich und unter der Bettdecke zuhause (lacht). Während ich ein ziemlicher Hypochonder bin und immer dann krank werde, wenn ich mit Rauchen und Trinken aufhöre. Ich halte es mit Tom Waits, der einst gesagt hat, daß er keine Probleme mit dem Alkohol hat, solange man ihm welchen gibt. Trotzdem: Nur weil wir mit dem Zeug so unterschiedlich umgehen, bedeutet das noch lange nicht, daß ich undiszipliniert bin. Mir gehen die Rolling Stones über alles, deshalb weiß ich, welchen Preis ich zu zahlen habe, um die Band am Laufen zu halten. Und ich sage dir, dieser Preis ist verdammt hoch! Aber ich zahle ihn gerne.

FRAGE: Zwar sind wie gewohnt eine Handvoll Kracher auf "Bridges To Babylon", aber insgesamt wirkt die Platte ruhiger und weniger aggressiv als eure meisten anderen Scheiben. Eine Frage des Alters?

RICHARDS: Eine Frage des Alters, ganz klar! Man wird in der Tat ruhiger mit der Zeit, diesen Rhythmus gibt einem schon der Körper vor, der sich von mir heute eben nicht mehr alles bieten lößt so wie früher. Trotzdem, wir sind noch lange keine Lahmärsche! Hör dir nurmal "Flip the Scrip" oder "Lowdown" an, da geht´s richtig zur Sache. Und "Thief In the Night" ist eine sehr dunkle, mysteriöse Nummer, auf die ich mächtig stolz bin. Weil ich als Komponist früher nicht die Reife gehabt hätte, dermaßen in die Tiefe des Lebens abzutauchen. D a s ist wirklich eine Frage des Alters.

FRAGE: Nochmals Mick Jagger, der im NME behauptet hat, es würde ihm schwerfallen, nach 35 Jahren Rolling Stones noch neue Ideen für die Band auszuhecken. Fällt Ihnen das ähnlich schwer?

RICHARDS: Ach, Mick... er geht einfach zu bewußt an die Arbeit heran. Ich sage mir, wir sind schon so lange im Geschäft, deshalb werden uns nie die Ideen ausgehen. Deshalb sind wir ja eine Band, bestehend aus vier Individuen, die sich gegenseitig stützen und vorantreiben. Armer Mick, er denkt einfach zuviel. (lacht) Ich für meinen Teil denke nie, ich hasse das Denken. Musiker sind nicht dafür geschaffen. Sie sollten Musik machen und sonst nichts. So habe ich es mein Leben lang gehalten. Und ich glaube, das war ganz gut so.

FRAGE: Wie kam´s eigentlich zu dem Albumtitel "Bridges To Babylon", was haben die Rolling Stones mit "Babylon" zu tun?

RICHARDS: Wenn du, so wie ich derzeit, in der Karibik lebst, kriegst du bald mit, wie wichtig der Terminus "Babylon" dort ist. Es ist dieser magisch-mysteriöse Ort, an dem das wahre Leben stattfindet, eine Art Paradies der Rastafaris. Es ist der Platz, wo es keine niedrigen Löhne oder Arbeitslosigkeit gibt. Eigentlich eine richtig nette Sache, oder nicht? Zumindest würde es mir an diesem Ort verdammt gut gefallen...

FRAGE: Sie leben zwar derzeit in der Karibik, für die Aufnahmen von "Bridges To Babylon" mußten Sie allerdings für sechs Monate Ihr Domizil in einem Hotel in Los Angeles aufschlagen. Wie war das?

RICHARDS: Gräßlich, weil ich Metropolen hasse! Die Luft ist schlecht, die Menschen sind hektisch, das Essen ist miserabel. Aber ich muß gestehen, daß es praktisch war, in diesem Moloch zu leben, da offensichtlich jeder ordentliche Musiker dort zuhause ist. Also: Es hilft dem Aufnahmeprozess umgemein, in L. A. zu arbeiten. Unser Produzent, Don Was, hatte ein dickes Adreßbuch rumliegen. Und immer, wenn wir glaubten, hier ein Saxophon-Solo oder dort ein zusätzliches Schlagzeug zu brauchen, blätterte er rum, rief dann jemanden an - und eine halbe Stunde später stand irgendein Superstar in der Tür unseres Studios, spielte sein Solo, kassierte Kohle dafür und verschwand wieder. So einfach ist das in L. A.! Das macht diesen Ort beinahe schon wieder sympathisch. Aber eben nur beinahe.

FRAGE: Angeblich haben Sie ein sehr inniges Verhältnis zu ihrer Gitarre. Stimmt das?

RICHARDS: Drücken wir es so aus: Ich gehe nicht mit ihr ins Bett, dafür habe ich jemand anderen. Aber ich liebe dieses Instrument sehr! Es gab Zeiten in meinem Leben, in denen ich mich nur mit Heroin und meiner Gitarre beschäftigte. Wobei das üble Zeiten waren, keine lustigen. Die muß ich garantiert nicht mehr haben!
Nein, in diesem Vakuum möchte ich nicht mehr leben müssen - woher soll man auch Inspiration für neue Songs bekommen, wenn man sich nur mit der Gitarre beschäftigt? Heutzutage brauche ich in meinem Leben unbedingt Familie, Freunde und am besten jeden Tag ein Fest. Das alles ist es, was mein Leben heutzutage ausmacht. Die Gitarre ist da nur noch ein Teil meiner gesamten Existenz.

MICK JAGGER

Mick Jagger erscheint standesgemäß knapp zwei Stunden zu spät zum vereinbarten Interviewtermin. Ein Lächeln seiner berühmt-berüchtigten wulstigen Lippen freilich genügt völlig, um den Ärger darüber sofort zu vergessen. Mr. Jagger nimmt neben mir Platz, ebenfalls auf dem wuchtigen Sofa des intimen, kaum beleuchteten Interviewzimmers - und versinkt beinahe darin. Denn der Mann ist klein, vielleicht einen Meter siebzig, dürr ist er obendrein und in seinem stets verwegen-funkelnden Gesicht zeichnen sich neben einem Dauergrinsen wesentlich weniger Falten ab als befürchtet.

Jaggers Kleidung ist - gelinde gesagt - salopp: dunkelblauer Wollsweater, darunter ein gestreiftes Hemd, ausgebeulte Stoffhosen. Klar, die Stones sind hier für Bühnenproben, zwischendrin werden täglich ein bis zwei Interviews mit ausgewählten Journalisten aus der ganzen Welt geführt. Was soll Mick sich da in seine ansonsten geliebten Versace-Klamotten werfen? Hat er das nötig?

Nein, hat er nicht. Mick Jagger ist trotz seines schmächtigen Äußeren eine Persönlichkeit, ein echtes Original. Klar ist er ein Mensch aus Fleisch und Blut wie wir alle, gleichzeitig aber ist er seit 1962 - also seit Gründung der Rolling Stones - das Sinnblid für Rock & Roll schlechthin, der personifizierte böse Bube, eine lebende Legende. Er wird nach wie vor als "womanizer" gehandelt, der immer wieder durch Affairen mit blutjungen Stars und Sternchen in die Schlagzeilen gerät.

Sein Biograph Peter Urban hat Jagger einst als "Clown, Derwisch, Zauberer, Rattenfänger und Lebedame zugleich" skizziert, das englische Musikmagazin "Circus" bezeichnete ihn als "Satan, Superkerl und Fummeltrine" - letzteres, weil Jagger immer gerne mit einem bisexuellen Image gespielt hat. "Aber lassen wir das Gerede von gestern", unterbricht der Sohn eines Physiklehrers aus dem englischen Kaff Dartford meine Gedanken, "reden wir lieber von heute. Denn mir geht´s gut wie lange nicht mehr", lacht Jagger.

FRAGE: Sie haben Villen in verschiedenen Teilen der Welt, sind nach wie vor oft und gerne auf Tournee und sind auch sonst nicht der Prototyp des durchschnittlichen Familienvaters. Ist diese Lebensweise Ausdruck für ein rastloses Herz, das Sie durch die Welt hetzt, oder würden Sie behaupten, daß Sie durchaus einen Platz haben, den Sie als Ihre Heimat bezeichnen?

JAGGER: Dieser Ort ist definitiv London, wo ich aufgewachsen bin und nach wie vor die meiste Zeit meines Lebens verbringe. In den letzten Jahren habe ich diese Stadt sogar richtig lieben gelernt, weil ich die kulturelle Szene so eindrucksvoll wie lange nicht mehr finde. Und im übrigen: Ansonsten würde ich dort doch nicht leben, oder?
Daß ich immer noch auf Tour gehe, bedeutet nicht, daß ich ein Bühnen-Junkie wäre. Ich sehe die Live-Auftritte nur als Teil meines Jobs an - Angebot und Nachfrage, verstehen Sie? Eine Menge Leute wollen die Rolling Stones nach wie vor live sehen, also tun wir ihnen den Gefallen, geben Konzerte und kassieren Geld dafür. Mein Problem ist höchstens, daß mich das Leben "on the road" nach einigen Monaten ganz schön langweilt. Mit zunehmendem Alter ist meine Abneigung dagegen sogar gewachsen.

FRAGE: Sie sind vielfacher Vater - haben Sie eine Art Leitfaden für die Erziehung Ihrer Kinder?

JAGGER: Genau den habe ich nicht - ich richte mich nach keinem festen Erziehungsprogramm für meine Kids, es gibt keine konkreten Wertvorstellungen, die ich ihnen vermitteln möchte. Ich gehe die Sache mit der Erziehung recht lässig an, ganz einfach aus dem Grund, weil ich sie für recht lässig halte. Wenn ich zuhause bin und meine Kleinen mit mir sprechen wollen, dann tun sie das. Wenn ich auf Tour oder sonstwie unterwegs bin, wissen sie, daß sie mich jederzeit telefonisch erreichen können - und sie machen auch Gebrauch von diesem Angebot. Aus all dem mache ich keine große Angelegenheit. Ich bin der Vater meiner Kinder, das ist kein Geheimnis für sie - und wenn sie mich brauchen, bin ich so gut als möglich für sie da. Genauso sollte es in meinen Augen sein. Es ist nicht schwierig, mit Kindern umzugehen, finde ich.

FRAGE: Sehen Sie, als Idol der jungen Generation seit 35 Jahren, einen Unterschied zwischen der Jugend von heute und der von - sagen wir - den 60er Jahren, als Sie selbst in den 20ern waren?

JAGGER: Gottseidank sehe ich den! Die Jugend von heute ist wesentlich toleranter als wir das waren. Heute kannst du dich zu The Prodigy und den Rolling Stones zur gleichen Zeit berufen, obwohl sie zwei völlig verschiedenen Generationen und Musikrichtungen angehören - und du bist trotzdem "in". Mir gefällt diese Entwicklung sehr, weil sie mir beweist, wie tolerant die Jugend von heute ist. Hauptsache, der Groove stimmt!

FRAGE: Themenwechsel: Würden Sie zustimmen, daß Sie in der Öffentlichkeit ein Image verkörpern - oder sind Sie 24 Stunden am Tag "Mick, der Superstar"?

JAGGER: Drücken wir es so aus: Natürlich bin ich auf der Bühne vor 100.000 Menschen ein anderer als der Mick Jagger, der sich am Morgen eine Tasse Tee aufbrüht. Zum Beispiel trage ich zu hause gerne blaue Trainingsanzüge, was ich in der Öffentlichkeit nie töte. Klar will man da etwas repräsentieren, eine Persönlichkeit darstellen - und dazu passen nunmal keine blauen Trainingsanzüge. Doch wenn ich mich so verhalte, muß ich noch lange nicht schizophren sein. Im übrigen ist es ermüdend, immer der "offizielle Mick Jagger" sein zu müssen. In dieser Rolle bin ich nämlich in erster Linie von Leuten umgeben, die vor allem an sich selbst denken - und dasselbe auch von mir erwarten. Besonders viel Spaß macht das nicht, um ehrlich zu sein. Mein sogenanntes "öffentliches Leben" ist häufig eine öde, falsch glitzernde Welt.

FRAGE: Während die Rolling Stones in den 80er Jahren ein ziemlich lahmer Haufen waren, die sich zwischen 1985 und 1989 sogar aufgelöst hatten, wirkt die Band in den 90er Jahren energiegeladen wie das letzte Mal in den frühen 70er Jahren. Ist diese Gruppe eine Art "unendliche Rock & Roll-Geschichte"?

JAGGER (grinst): Klar kann es mit den Stones noch ewig weitergehen, wer weiß das schon? Wir haben von vielen Seiten Optionen auf die Zukunft, es könnte in der nächsten Zukunft eine Menge mit uns passieren. Gleichzeitig kann es natürlich sein, daß es in der Band schon bald wieder Streit gibt, daß wir uns nicht mehr sehen und riechen können, und daß dieses momentane Idyll wie eine Seifenblase zerplatzt. Es wäre nicht das erste Mal bei dieser Gruppe. Mein Gott, kennt irgendjemand von uns die Zukunft? Ich kann nur soviel sagen, daß es im Moment eine Menge Spaß bringt, ein Rolling Stone zu sein. Mehr muß ich für den Augenblick gar nicht wissen. Die Gegenwart ist spannend genug, um mich voll und ganz zu beschäftigen und zu befriedigen.

FRAGE: Haben Sie eigentlich in den 35 Jahren Ihrer Karriere etwas gelernt, sind Sie Ihrer Ansicht nach persönlich weitergekommen?

JAGGER: Sicher habe ich im Laufe meines Lebens eine Menge gelernt - (lacht) aber es war bestimmt zu wenig! Doch natürlich macht man eine Entwicklung, einen Reifeprozeß durch, ansonsten wäre man ja ein kompletter Idiot.
Wobei meine Lernprozesse eher von selbst und wie nebenbei erfolgten. Ich mußte mich kaum je besonders anstrengen, um für mich persönlich weiterzukommen.

FRAGE: Würden Sie sagen, Sie haben etwas von der jungen Generation gelernt?

JAGGER (lacht): Ja, Rollerskaten zum Beispiel! Aber im Ernst: Mir war und ist es ein Anliegen, daß jeder von jedem lernen und profitieren kann - jung von alt, schwarz von weiß und so weiter. Wenn dem so ist, sind wir einen großen Schritt weiter auf dem Weg zu mehr Toleranz auf diesem Planeten.

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