Interview / KRAFTWERK VORSPANN: 1968 gründen vier Musikstudenten in der Rhein-Ruhr-Metropole Düsseldorf die Band Organisation: Florian Schneider-Esleben, Andreas Hohmann, Klaus Dinger und Ralf Hütter. Ziel dieser Formation ist es, vollelektronischen Sound herzustellen. Präziser: die Seele der Maschinen zu finden und sie mit Humanität zu versehen. Bei ihren ersten Auftritten werden die "Ton-Architekten", wie sie sich selbst definieren, häufig mit Eiern und Tomaten beworfen und von der Bühne gejagt. Die Hippies wollen endlose Gitarren-Soli hären und sich damit in wilde Drogenträume katapultieren. Der Sound von Organisation hingegen ist kalt, von eisenhartem Rhythmus und kantig: Ausdruck einer Welt auf dem Sprung in ein neues Zeitalter, das keiner wahrhaben will. Diese Ära wird kompliziert sein, rasant und faszinierend. Reichlich anstrengend eben. Davon will im Woodstock-Jahr keiner etwas wissen. Schon gar kein Rock & Roll-Fan. Hütter & Co. arbeiten unbeirrt an ihrer Vision weiter. 1970 wechselt die Band ihren Namen und nennt sich fortan Kraftwerk, im gleichen Jahr entsteht die erste Platte gleichen Titels. Damit avanciert man zu den Helden der nationalen Subkultur, zu den Anti-Stars der deutschen Rock-Szene. Vier Jahre später ist man ein ganz großes Ding und weit über die heimischen Grenzen hinaus ein Begriff. Nur eine einzige Komposition, 22 Minuten lang, reicht für den Durchbruch aus: "Autobahn", eine skurril-hypnotische Fahrt über endlos grauen Asphalt. Die Single wie das Album charten neben Deutschland auch in England und den Vereinigten Staaten hoch. Sie helfen, das spöttische Vorurteil der anglo-amerikanischen Musikkonsumenten dem deutschen "Kraut-Rock" gegenüber zu entwaffnen. Von diesem Zeitpunkt an ist Kraftwerks Aufstieg unaufhaltsam. Das Hippietum ist ausgebrannt, Individualität statt Massenpsychose ist gefordert, und der Pop-Konsument ist verunsichert. In dieser Phase der Neuorientierung kommt ihm Kraftwerk gerade recht: Diese Band macht etwas Neues, Ungewöhnliches, Musik von strenger Klarheit und dabei merkwürdig entrückt. Man kann dazu tanzen, man kann sich treiben lassen, und alles klingt höchst modern. Einfacher gesagt: Kraftwerk ziehen nach wie vor ihr Ding durch, aber irgendwie hat sich mit einem Mal eine Schnittstelle zum Geschmack des großen Publikums ergeben. Inzwischen sind Kraftwerk Kult. Und das, obwohl das Projekt nur bis zum Jahr 1981 relativ regelmäßig Arbeiten veröffentlichte. Nach dem "Computerwelt"-Album aus jenem Jahr mußte die riesige Kraftwerk-Fangemeinde satte fünf Jahre warten, ehe 1986 das Quartett ins "Electric Caf" lud. Übrigens schon lange nur mehr mit Schneider-Esleben und Hütter als kreativem Grundstamm plus zwei ständig wechselnden Mitspielern. Danach herrschte Funkstille im Düsseldorfer "Kling Klang-Studio", in welches sich die Kraftwerker wie in einen Kokon eingesponnen hatten. Junge Bands kamen nach, und viele beriefen sich auf Kraftwerk als den wichtigsten Einfluß ihrer Jugend. Die Düsseldorfer Avantgardisten prägten Acid, House, Rave und viele anderen Tanz-Moden der 80er und 90er Jahre entscheidend mit - doch die Originale selbst hüllten sich in Schweigen. Niemand wußte, ob die Band überhaupt noch existierte, was mit deren Mitgliedern passiert war. Bis im Sommer 1991 "The Mix" erschien, eine CD, die elf Kraftwerk-Klassiker der Jahre ´74 bis ´81 enthält. Neu abgemischt und eingespielt in einem für damalige Zeiten revolutionären Verfahren, das Klängen eine nie dagewesene Räumlichkeit verlieh. Aus Anlaß dieser Veröffentlichung traf ich im Frühsommer 1991 Kraftwerk-Mastermind Ralf Hütter in einem der Büros der Kölner Plattenfirma EMI zu einem der wenigen Interviews, die jene Band im Lauf ihrer Karriere überhaupt gegeben hat. Ralf Hütter stotterte leicht, während er redete. Und er blickte oft in die Ferne. Hütter ist ein schüchterner, kleiner Mann, aber was er sagte, hat Gewicht. Er erwartete nicht, daß man seine Ideen verstand - doch er verlangte, daß man sich mit ihnen auseinandersetzt. Das Haar des am 20.8.1946 Geborenen war schon damals graumeliert, doch seine Gesichtshaut war so straff und faltenlos wie die eines jungen Mannes. Ralf Hütter wirkte auf merkwürdige Art und Weise alters-, ja: zeitlos. FRAGE: Welche Beziehung haben Kraftwerk zu Computern, die immerhin im Zentrum ihrer Arbeit stehen? HÜTTER: Der Mensch muß zur Maschine sicher nicht zwangsläufig ein sklavisches Verhältnis haben. Vielmehr sollten die beiden versuchen, sich gegenseitig voranzubringen. Unsere Musik ist ein Beispiel dafür: Ohne Datenbanken und Computer wäre es unmöglich, alle unsere Ideen zu realisieren. Die Maschinen ermöglichen uns die größtmögliche kreative Freiheit. Wir experimentieren mit ihnen herum, und es entstehen, bedingt durch das Eigenleben der Geräte, völlig neuartige und erstaunliche Ergebnisse. "Fortschritt durch Austausch", lautet unser Programm. Wir gehen eine partnerschaftliche Koexistenz mit den Maschinen ein und stoßen so gemeinsam in fremdartige Gebiete vor. FRAGE: Es scheint jedenfalls, daß Sie heilfroh sind, als Musiker in der heutigen Zeit zu leben, mit all ihrer Technik und Elektronik, oder nicht? HÜTTER: Unbedingt - die heutige Zeit ist großartig für uns Musiker! Du hast in diesem Beruf so unglaubliche Ausdrucksmöglichkeiten. Noch im 19. Jahrhundert muß dieser Job ungemein öde gewesen sein: all diese Menschen, die auf Stühlen hockten und auf ihren Geigen rumkratzten - was für ein grauenhafter Gedanke! Heute hingegen ist man als technisch versierter Mensch ein Hexenmeister im Ton-Universum. FRAGE: Warum hat es so unendlich lange gedauert, bis Kraftwerks neues Album "The Mix" auf den Markt gekommen ist? HÜTTER: Es gab eine Veröffentlichungspause, doch Kraftwerk als Projekt ruht niemals. Das kann es gar nicht, denn dahinter stecken Individuen, die sich völlig damit identifizieren. Wir leben Kraftwerk, und das bedeutet weitaus mehr als Konzerte, Videos oder Tonträger. Kraftwerk ist Philosophie, ist Lebenseinstellung! FRAGE: Im heimischen Feuilleton hat man Kraftwerk all die Jahre über naive Technikverherrlichung und Inhumanität vorgeworfen. Treffen die Band solche Attacken? HÜTTER: Diese Attacken begleiten uns schon seit Karrierebeginn, und trotzdem haben wir mit unseren Prophezeiungen recht behalten. Zum Beispiel mit der Prognose, daß moderne Populärmusik ohne technische Hilfsmittel nicht mehr möglich ist. Insofern können uns solche Vorwürfe von den Medien nicht treffen, da die Zeit und ihre Veränderungen auf unserer Seite stehen. FRAGE: Bei aller Feindseligkeit der einheimischen Presse gegenüber eurer Musik habt ihr euch dennoch stets der Musik dieses Landes stark verbunden gefühlt. Warum bezeichnen Kraftwerk sich liebend gerne als "Rhein-Ruhr-Volksmusikanten"? HÜTTER: Wir machen nunmal moderne Folklore, schicken Klänge aus unserer Heimat über alle Grenzen hinweg. Daß unsere Töne überall in der Welt Anklang finden, liegt am völkerverbindenden Rhythmus, der ein weitaus verständlicheres Medium ist als Worte. FRAGE: Kraftwerk-Sound ist demnach völlig neutral und beeinflußt dich dennoch - ist es so gemeint? HÜTTER: Richtig! Wobei man noch weiter gehen könnte und behaupten, daß Kraftwerk-Sound von Menschen für Menschen gemacht worden ist, dabei aber inhuman ist - da wir den Menschen in seiner Unperfektion ablehnen. Unser Wesen ist ja sehr deutsch, sehr präzise, sehr perfektionistisch. Kraftwerk könnte niemals eine Trash Metal-Band sein - dieses Chaos der Klänge entspräche nicht unserem Naturell. Uns war und ist daran gelegen, Musik von klassischer Reinheit zu kreieren. Inwieweit der Mensch in dieser Klangwelt noch eine Berechtigung hat, kann ich nicht sagen. FRAGE: Sie und Ihre Mitstreiter von Kraftwerk sehen das moderne Leben demnach als ein spannendes Spiel mit hohem Einsatz an, eine Art russisches Roulette? HÜTTER: Die heutige Existenz ist ein einziges Risiko, in der Tat. Jede Menge lebensbedrohender Einrichtungen sorgen für permanente Spannung, niemals zuvor konnte diesem Planeten so effizent und so rasch der Garaus bereitet werden. Unter so apokalyptischen Umständen bietet kreatives Arbeiten einen merkwürdigen Reiz: Man verfügt heute über unglaubliche Denkfreiheiten, weil die Zeit diese schlichtweg erfordern. FRAGE: Wenn wir diesen Denansatz noch weiter drehen, ist dann Musik für Kraftwerk die kreative Umsetzung der Tatsache, daß Leben und Tod immer noch engere Nachbarn werden? HÜTTER: Einerseits, ja. Auf der anderen Seite bietet Musik aber auch die Möglichkeit, in harmonische Sphären vorzudringen. Mehr kann und mag ich mich dazu nicht äußern. Ich könnte dir höchstens auf einem Instrument vorspielen, was ich ausdrücken will. Denn meine Sprache sind Töne. Worte reichen da nicht heran. FRAGE: Vielleicht die folgenden Worte: Der Tod soll durch Musik zu einem positiv-besetzten Zustand umgewandelt werden - und dadurch wird gleichzeitig der alte Traum von der Unsterblichkeit der Seele wiederaufgenommen? HÜTTER (grinst): Mit dieser Einschätzung unserer Arbeit kann ich sehr gut leben. FRAGE: Sind Religiosität und Spiritualität der Background von Kraftwerk-Songs? HÜTTER: Nein, nein, wir alle sind nüchterne, klar denkende Menschen. Gott oder irgend sonst einer von diesen übersinnlichen Wichten hat in unserem Kosmos nichts verloren. FRAGE: Was ich interessant an "The Mix" finde: Die einzige Verbal- Neuerung darauf findet sich im Lied "Radio-Aktivität", indem ihr dem Hauptschlagwort die Silbe "Stoppt" vorangesetzt habt. Warum dieser Eingriff? HÜTTER: Wir änderten diesen Text aus historischen Gründen, damit er nur ja nicht mehr mißverstanden werden kann. Als "Radio-Aktivität" Mitte der 70er Jahre entstand, hatten wir noch ein neutrales Verhältnis zur Kernspaltung und sahen sie lediglich als eine von zahlreichen weiteren technischen Hilfsmitteln an. Heute sind wir strikt gegen die Verwendung von Kernkraft. Der Mensch ist dieser Verantwortung nicht gewachsen, und sie liegt in den Händen von Leuten, die nicht mal die einfachsten physikalischen Formeln kennen. Somit ist diese Erfindung kontra-produktiv und nicht zum Wohle unserer Art. FRAGE: Zurück zur Musik: Berühmt wurden Kraftwerk ja durch ihre endlosen Loops, ihre Kompromißlosigkeit in der Herangehensweise. Wie erklären sich die im System der Zenmäßigen Direktheit? HÜTTER: Nun, wir verdichten die Dynamik der Moderne und halten sie in minutenlangen Ausschnitten fest. Wir klingen zackig, scharfkantig und etwas distanziert, aber gleichzeitig versuchen wir, jeden unserer Songs haarscharf auf den Punkt zu bringen. Wir gehen keine Umwege. Das ist wohl wirklich Zen. Die Loops wiederum haben etwas mit dem futuristischen Aspekt unserer Arbeit zu tun. Wir verfolgen damit keine Dramaturgie und schon gar keinen Handlungsablauf. Das interessiert uns nicht. Daher arbeiten wir mit dem Kniff der maschinenmäßigen Endlos-Wiederholung - wir klinken uns während einer bestimmten Situation ins Geschehen ein, bewegen uns darin und blenden uns wieder aus. Kein Hintergrund, keine weiterführenden Gedanken. Lediglich eine äußerst klare, sachliche Zustandsbeschreibung. Bei unseren Kompositionen existieren kein Anfang und kein Ende, die einzelnen Partikel sind austauschbar. Wir sind keine Band mit logistischer, dramaturgischer Basis. FRAGE: Und schon gar keine Rock & Roller, nehme ich an... HÜTTER: Um Himmels willen, nein! Wir verfolgen zwar ähnliche Ziele wie dieser antiquierte Zirkus - wir bauen auf Tanzrhythmen, einprägsame Melodien, Simplizität -, aber wir sind eben modern. Rock & Roll gehört der Mottenkiste der Geschichte an. Für mich hat Rock & Roll etwas mit Gitarrengeschramme und Schlagzeugsolos zu tun - brrr! Mit solchem Schnee von gestern haben wir nichts am Hut. FRAGE: Wie würde Ralf Hütter sich und seine Existenz auf diesem Planeten in wenigen Sätzen beschreiben? HÜTTER: Ich habe kein Privatleben im herkömmlichen Sinne, ich vermisse es auch nicht. Wenn ich morgens aufgestanden bin und mir die Zähne geputzt habe - dann werde ich zu Kraftwerk, ganz automatisch. Zu einer Idee also, die mich nie mehr loslassen wird. |
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